Ausgangslage

Armutsbetroffene Eltern, die selbst nur eine niedrige formale Bildung haben, können ihre Kinder oft nicht entsprechend unterstützen.

DAS PROBLEM

Jedes fünfte Kind in Österreich ist armuts- und ausgren- zungsgefährdet. Was bedeutet es, in Armut aufzuwachsen? Es bedeutet unter anderem, dass diese Kinder in ihrer altersgemäßen Entwicklung benachteiligt sind, dass es ihnen schwerer fällt, soziale Kontakte zu knüpfen, und dass sie schlechtere Bildungschancen haben. Armut belastet. Das drückt sich auch auf gesundheitlicher Ebene aus und erzeugt Scham. Kinder, die unter Armut leiden, sind häufig von ganz zentralen kindlichen Lebensbereichen und der Teilhabe am sozialen Leben ausgeschlossen. Sie erleben sich selbst als benachteiligt und denken, dass sie weniger talentiert und nicht so wichtig sind. Außerdem haben diese Kinder weniger Möglichkeiten, sich gesellschaftlich zu engagieren.

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URSACHEN DES PROBLEMS

Sozioökonomische Herkunft und Vererbung von Bildung

Chancenungleichheit wird in Österreich immer noch vererbt. Tatsächlich verlassen 63 % aller Kinder, deren Eltern keinen höheren Schulabschluss haben, vor der Matura die Schule. In Familien mit akademischem Bildungshintergrund machen im Vergleich dazu lediglich 19 % aller Schüler:innen keine Matura. Die Gründe für die verringerte Bildungsmobilität sind vielfältig und komplex. Oft fehlt es an finanziellen Ressourcen innerhalb der Familie, an adäquater Mehrsprachenförderung und an dem nötigen Netzwerk für eine außerschulische Förderung. Armutsbetroffene Eltern, die selbst nur eine niedrige formale Bildung haben, können ihre Kinder oft nicht entsprechend unterstützen.

Für diese Kinder mit durchweg schlechteren Startbedingungen ist es oft besonders schwierig, den Lernrückstand gegenüber Kindern mit besseren Voraussetzungen aufzuholen. Nicht selten werden betroffene Schüler:innen aufgrund ihrer Herkunft bzw. der sozioökonomischen Benachteiligung von Pädagog:innen und Mitschüler:innen zusätzlich stigmatisiert, was das negative Selbstbild bestärkt und die eigene Potenzialentfaltung bremst.

Bildungssystem

Das in der Schule vermittelte Selbstbild, das leistungsschwächere Kinder durch die Kategorisierung nach Schulnoten von ihrem Umfeld vermittelt bekommen, erinnert an eine Etikettierung, an welche diese folglich ihr Leistungs- und Sozialverhalten anpassen. Die Stigmatisierung durch Lehrende und Mitschüler:innen führt zu einer negativen Selbstwahrnehmung, geprägt von Scheitern und Ablehnung. Dieser Prozess kann in weiterer Folge Schulangst, ein Gefühl der Machtlosigkeit, die Entfremdung von Mitschüler:innen und eine Distanzierung vom gesamten Lernprozess mit sich bringen. Diese Jugendlichen sind besonders gefährdet, sich irgendwann demotiviert und frustriert aus dem Bildungssystem zurückzuziehen. 

Hinzu kommt, dass gerade benachteiligte Kinder von der individuellen Förderung sozialer Kompetenzen besonders profitieren würden. Stattdessen liegt der Fokus noch immer auf Faktenwissen und damit einhergehenden Defiziten.
Vielen Schulen fehlen die nötigen Ressourcen und Methoden für ganzheitliches Lernen, das die individuellen Fähigkeiten abseits von klassischen Unterrichtsfächern in den Vordergrund stellt und Erfolgserlebnisse unabhängig von Notendruck liefert.

Wer nicht an die eigenen Fähigkeiten glaubt, schöpft auch seine Potenziale nicht voll aus.

KONSEQUENZEN

Auswirkungen auf das psychische, physische und seelische Wohlbefinden

Kinder, die das Gefühl haben, an der Gesellschaft nur bedingt teilzuhaben und an der Gestaltung ihrer eigenen Zukunfts- perspektive nicht aktiv mitwirken zu können, fühlen sich oft isoliert und minderwertig. Vor allem Armut und die damit einhergehend verminderten Aufstiegschancen im Bildungsbe- reich sind häufige Ursachen von Depression bei Jugendlichen. Das leistungsorientierte Bildungssystem und unklare Perspek- tiven für die Zeit nach der Schule verstärken Effekte wie ein geringes Selbstwertgefühl und fehlende Selbstwirksamkeit. Wer folglich nicht an die eigenen Fähigkeiten glaubt, schöpft auch seine Potenziale nicht voll aus. 

Studien haben ergeben, dass der durch die Pandemie verursachte Bewegungsmangel bei Jugendlichen in einem direkten Zusammenhang mit schlechter mentaler Gesundheit und geringerer Lebenszufriedenheit steht. Symptome wie Depression, Angststörungen, Schlaflosigkeit und Essstörun- gen haben seit dem Ausbruch der Pandemie in Österreich vor allem bei jungen Menschen nachweislich zugenommen. Jede:r zweite Schüler:in zeigt eine mittelgradige depressive Symptomatik. Jedes fünfte Mädchen leidet sogar an wiederkehrenden suizidalen Gedanken. Junge Menschen aus sozioökonomisch benachteiligten Familien sind hier besonders stark betroffen.

Mangelnde gesellschaftliche Teilhabe und fehlende Zugehörigkeit

Armuts- und ausgrenzungsgefährdete Kinder und Jugendliche haben weniger Möglichkeiten zur Partizipation und nicht dieselben Chancen, ihr Leben nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten, wie Gleichaltrige aus privilegierten Haushalten. Wer einen schlechteren Bildungsabschluss erreicht, hat weniger Wahlmöglichkeiten, was die eigene Zukunft betrifft.

Unzufriedenheit und Frustration führen oft dazu, dass sich Jugendliche schon früh aus dem Bildungswesen und dem Berufsleben zurückziehen und dann von herkömmlichen Angeboten nur mehr schwer zu erreichen sind. Im schlimmsten Fall legen diese frühen Erfahrungen den Grundstein für einen späteren kompletten Rückzug aus der Gesellschaft und allen damit verbundenen Teilhabe- und Entscheidungsprozessen. Gerade für junge Menschen sind deshalb Orte, an denen sie sich unabhängig von Leistung zugehörig und akzeptiert fühlen, für eine emotional gesunde Entwicklung von besonders großer Bedeutung.

Mitbestimmung und Partizipation sind für ausgrenzungsge- fährdete Jugendliche besonders wichtig, um sich selbstwirksam und aktiv an der Ausgestaltung einer chancengerechten Gesellschaft beteiligen zu können.

Fehlende Vorbereitung auf Herausforderungen einer sich wandelnden Welt

Wir befinden uns in einer sich stets wandelnden Welt voller unbekannter Herausforderungen. Die Arbeitswelt und die damit einhergehenden Anforderungen werden immer komplexer und dynamischer. Für zukünftige Generationen wird es umso wichtiger, sich selbstständig in neuen Situationen zurechtzufinden, sich anzupassen und entsprechend darauf zu reagieren. Das derzeitige Schulsystem bereitet Kinder und Jugendliche nur bedingt auf diese neuen Herausforderungen vor. Statt einer Fokussierung auf individuelle Eigenschaften wie kreatives Denken, Problemlösungskompetenz und Durchhaltevermögen stehen Faktenwissen und die Vermittlung von Lerninhalten noch immer im Vordergrund. In diesem frontalen Lernsetting bleiben kindliche Potenziale und Talente, die für eine positive Zukunftsperspektive wichtig wären, oft unentdeckt.